Eine Fakten-Geschichte von möglicher Befangenheit, zweifelhafter Verzögerungstaktik, merkwürdigem Demokratieverständnis und Matheschwäche; mit eingestreuten Emotionen. Ein Service von Nadine Melsa, Fachfrau für Denkmalschutz und Kultur der PARTEI Essen.
Mit einer Pressemeldung hat das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW unter Führung von Ministerin Scharrenbach am 24.08.2021 wieder einmal das Ruhrgebiet brüskiert. Es wurde verkündet, dass einzig die Bewerbung der Müngstener Brücke um den Welterbe-Titel an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet wird.
Diese Entscheidung hinterlässt einen anrüchigen Beigeschmack und wirft die Frage auf, welche ehrliche Chance das Ruhrgebiet unter Scharrenbach wirklich hatte.
Man mag von der Bewerbung des Ruhrgebiets unter Federführung der Industriedenkmalstiftung um den UNESCO-Titel halten was man mag, und man muss diese Bewerbung auch nicht befürworten – aber von einem offenen, transparenten und demokratischen Verfahren darf man mehr erwarten als geschehen. Die Bewerbung wurde übrigens von Seiten des ursprünglichen Ministeriums angestoßen und die ganzen Jahre positiv begleitet. Nun mag das neugeordnete Ministerium unter Scharrenbach (seit 2017) die Bewerbung nicht wollen, aber immerhin befinden wir uns in einem laufenden Verfahren, dessen Regeln wenn nicht direkt geändert, so mindestens unterwandert wurden. Ein solches Verhalten findet man normalerweise bei kleinen Kindern, die gerade erst lernen müssen, dass man ein Spiel auch verlieren kann. Von einem Ministerium erwartet man anderes.
Nachdem von der Stiftung im Januar 2020 das Projekt „Welterbe Ruhrgebiet“ im Kreis „Städteregion 2030“ vorgestellt wurde, und im Juni 2020 in der Kommunalratssitzung, wurden den Städten und Kommunen im August 2020 ausführliche Informationen zur Verfügung gestellt, in allen drei Fällen immer mit dem Hinweis, dass die Industriedenkmalstiftung jederzeit für Fragen, Diskussionen und weitere Informationen zur Verfügung steht. Darüber hinaus wurde im August auch die Bitte um einen Ratsbeschluss geäußert. Im Oktober 2020 wurde das Projekt zusätzlich ausführlich den Fachämtern der Stadt Essen vorgestellt. Im November 2020 verwies Ob Kufen in einem Schreiben an die Stiftung auf Beratungsbedarf in den Fachämtern (aber Gesprächs- und Informationsangebote wurden nicht wahrgenommen), und auf die Kommunalwahlen, die eine Beratung in den Gremien bisher nicht ermöglichten. Grundsätzlich würde man aber „die politischen Gremien zum nächstmöglichen Zeitpunkt einbeziehen“. Im Februar 2021 übersandte die Industriedenkmalstiftung weitere Informationen an die Stadt Essen und erinnerte an die ausstehenden Gremienbeschlüsse.
Für den Mai 2021 verfasste die Verwaltung nun endlich (!) die Vorlage für den zuständigen Ausschuss und den Rat der Stadt Essen. Diese wurde durch „Beratungsbedarfe“, Anfragen und Anträge der cdU so oft hin und her geschoben, dass zur Sommerpause immer noch keine Diskussion und Entscheidung erfolgte. Zwischenzeitlich veröffentlichte das Ministerium im Juni 2021 eine Jury-Einschätzung zu den eingegangenen Bewerbungen (Eine extra Jury, die es nur in NRW gab. Eine Jury, von der 2 Mitglieder an Bewerbungen für andere Bundesländer federführend aktiv waren. Eine Jury, die das Ruhrgebiet noch nicht einmal besucht hat.), bei der das Ruhrgebiet schlecht wegkam.
Die Bewerbung müsse überarbeitet werden, und dies traue man der Stiftung und ihren Partnern bis zum 01.10.2021 nicht zu (Zeitplan des Bewerbungsverfahrens). Die Stadt Essen hat die offene Vorlage nicht auf die TOs der Gremiensitzungen im August 2021 gesetzt. War die Ministerentscheidung schon bekannt? Am 24.08.2021 nun wurde mit der Entscheidung für die Müngstener Brücke quasi verkündet, dass man weder die letzten fehlenden Gremienbeschlüsse abwarte, noch die überarbeitete Bewerbung.
Zudem lässt uns die Begründung der angeblich nur fragmentarischen Unterstützung der Kommunalpolitik mit offenem Mund zurück. Wenn gerundet 87 % an positiven Voten gleichbedeutend mit „fragmentarisch“ sind, haben wir in der Schule wohl in Deutsch und vor allem in Mathe geschlafen. Oder hatte man Angst, dass einige Ratsmitglieder der Stadt Essen umfallen könnten, ein positiver Entschluss zustande käme und man bei lächerlichen 89 % Zustimmung landen würde? (Plus x, weil noch eine weitere Entscheidung aussteht).
Der gesamte Vorgang ist behaftet mit Missachtung gewählter Gremien und Ihren Entscheidungen, merkwürdigem Demokratieverständnis, seltsamem Geschäftsgebaren gegenüber den politischen Gremien, offenen und offiziell eingebrachten Vorlagen und dazugehörigen Anträgen, irritierenden Regeländerungen und vor allem mit der ganz klar erkennbaren Aussage, dass das Ruhrgebiet im Auge Scharrenbachs ein blinder Fleck ist und keiner Beachtung oder Unterstützung bedarf. Wieder einmal.