Die Stadt Essen hat anscheinend keine Böcke auf die Fortschreibung der deutschen Tentativliste für zukünftige UNESCO-Welterbestätten: Antrag „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ und verlangt vom Rat, die Nominierung für die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt abzulehnen.
Die PARTEI hat dazu eine Änderung der Beschlussvorlage eingereicht, um doch noch eine Teilnahme zu ereichen!
Hier der komplette Redebeitrag zur Ratssitzung am 12.05.2021:
„Glück Auf, werte Kollegen und Kolleginnen, liebe Essener Bürger und Bürgerinnen,
Heimat ist ein kurzes Wort mit 6 Buchstaben aber gleichzeitig auch ein großer Begriff. Schaut man in diverse Lexika dann “verweist der Begriff der Heimat auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum – also auf das Territorium, in dem man lebt und aufgewachsen ist.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Heimat der Ort an den man hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserlebnisse stattfinden, die Identität, Charakter, Mentalität, Einstellung und Weltauffassung eines Menschen prägen.
Wir haben es hier, aus unserer Sicht mit einem spannenden Projekt der Industrie Denkmal Stiftung zu tun, es geht um den Erhalt von Denkmälern und dem Erhalt des kulturelles Erbe und der Identität des Ruhrgebietes.
Mit der Bewerbung um ein UNESCO-Welterbe kann die Gemeinschaft der Städte und Institutionen eine Bilanz über fünf Jahrzehnte Transformation, Städtebau und Industriedenkmalpflege im Ruhrgebiet ziehen. Es wird sichtbar, was mit den milliardenschweren Investitionen des Landes NRW und des Bundes in die Industriekultur im Ruhrgebiet über Jahrzehnte geschaffen wurde.
Mit der Internationalen Bauausstellung IBA, dem Emscher Park über die Kulturhauptstadt 2010 bis hin zur Klimametropole Europas ist großartige Vorarbeit geleistet worden, nun folgt der nächste Schritt.
Die dichteste Industrielandschaft Europas erfindet sich neu.
Es wird auf Erfindungsreichtum, auf soziale, ökologische und ökonomische Innovation gesetzt – ganz im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der UNESCO. Die Landschaft des vormals agrarisch geprägten Ruhrgebiets wurde während der Industrialisierung radikal überformt.
Der Logik der Industrie folgend, entstanden Zechen, Kokereien, Hüttenwerke, neue Transportwege, Kanäle und Bahnlinien.
Die Landschaft wurde neu modelliert durch Halden und Polder und ein industriebedingtes Abwassersystem. Diese robusten Strukturen sind bis heute in Nutzung bzw. werden mit neuen Inhalten genutzt: Halden wurden zu Freizeitstätten inszeniert, Maschinenhallen, in denen heute Konzerte und Tagungen oder Ausstellungen stattfinden, lebendige Museen, welche für die kulturelle und touristische Attraktivität des Ruhrgebiets stehen, Hüttenwerke, die den Menschen als Parkanlagen und Freizeitstätten dienen, Bahnlinien, die als Radwege umgenutzt wurden und heute für den Transport von Menschen angelegt sind sowie Zechenareale, die mit ihrem Image als Kreativzentren und Zukunftsstandorte für die wirtschaftliche Innovationskraft des Ruhrgebiets werben.
Das ist eine Nachhaltigkeitsstrategie, auf die wir auch in Zukunft setzen müssen.
Das Ruhrgebiet ist ein weltweit anerkanntes Vorbild für Transformationsleistungen. Die Bewerbung enthält viele nachhaltige Themen und Elemente: der Emscherumbau und die Umwidmung von Bahnlinien zu Radwegen und die Freizeitnutzung der Grünzüge und Halden spielen eine wesentliche Rolle und werden in Wert gesetzt.
Damit ist nicht zuletzt auch eine enorme Steigerung der Lebensqualität geschaffen worden. Seit Jahrzehnten schaut die Welt darauf, wie im Ruhrgebiet industrielles Erbe durch Bewahrung und kreative Nutzungsmodelle zukunftsfähig gemacht wird. Diese Transformation wird heutzutage auch von den großen, aus dem Montanzeitalter hervorgegangen Konzernen, etwa der Energiewirtschaft, mitbefeuert. Der Welterbe-Titel würde die weltweite Wertschätzung und Anerkennung für diese Transformationsleistungen zum Ausdruck bringen, neue Bildungshorizonte eröffnen und den Austausch auf internationaler Ebene fördern.
Nicht nur in den 11 UNESCO-Projektschulen im Ruhrgebiet, die sich den Bildungszielen der UNESCO verpflichtet haben, sondern auch den Universitäten und Hochschulen der Region werden neue Möglichkeiten der Bildung und Forschung geboten.
So ist die industrielle Kulturlandschaft mit ihren sichtbaren, radikalen Überformungen ein idealtypisches Objekt für die neuesten Forschungen zum Anthropozän. Mit der Wertschätzung eines komplett vernetzten, nachhaltigen und klimafreundlichen Systems aus Flüssen, Kanälen, Bahnlinien/Radwegen wird die zukünftige Entwicklung (neuartiger) Mobilitätskonzepte zur Erschließung der Landschaft befördert.
Das Projekt steht im Einklang mit den Zielen der Stadtentwicklung im Ruhrgebiet.
Die Gebietskulisse umfasst nur knapp 3% der Fläche des Ruhrgebiets und ist vollständig kompatibel mit den Zielen der kommunalen Stadtentwicklung, da schon bei der Konzeption der Gebietskulisse die Bebauungs- und Flächennutzungspläne berücksichtigt und die einzelnen Elemente mit den Kommunen abgestimmt wurden bzw. werden.
Kein einziges Bauwerk muss für die Bewerbung zusätzlich unter Denkmalschutz gestellt werden.
Die Bewerbung bündelt Vorhandenes: 10 denkmalgeschützte Siedlungen und 54 einzelne Monumente, die allesamt seit Jahrzehnten bereits unter Denkmalschutz stehen, die saniert und umgenutzt sind und somit entweder durch eine fortbestehende oder eine neue Nutzung erhalten werden.
Außerdem geht es um 71 lineare Elemente (Bahnlinien, Flüsse, Kanäle) und Flächenelemente (Halden, Polder, Grünzüge), welche die funktional genetischen Zusammenhänge der industriellen Kulturlandschaft repräsentieren und die als robuste Strukturen für die Funktionsfähigkeit der wirtschaftlichen Weiterentwicklung des Ruhrgebiets stehen.
Die bisherige erfolgreiche Strategie, auf die Industriekultur als touristische Marke zu setzen, erhält mit der Bewerbung auch auf internationaler Ebene neue, ganzheitliche Inhalte und Bilder.
Nicht einzelne Stätten, sondern ein zusammenhängendes, komplett vernetztes Gebilde wird in den Fokus gerückt, die Zusammenhänge werden sichtbar.
Die Bewerbung soll das Welterbe-Potential des Ruhrgebiets sichtbar machen, d.h. die gesamte Region als Ganzes in den Blick nehmen und Zusammenhänge aufzeigen.
Zusätzliche Kosten kommen auf die Kommunen durch das Projekt nicht zu. Fakt ist: Kein einziges Bauwerk muss für die Bewerbung zusätzlich unter Denkmalschutz gestellt werden.
Die Bewerbung bündelt, was schon vorhanden ist: nämlich 10 ausgewählte denkmalgeschützte Siedlungen und rd. 50 einzelne Industriedenkmale. Das sind ausschließlich solche, die seit Jahrzehnten bereits unter Denkmalschutz stehen, sich in fester Trägerschaft befinden und die – bis auf sehr wenige Ausnahmen – bereits saniert wurden und die entweder durch eine fortbestehende Nutzung oder durch eine neue Nutzung ohnehin erhalten werden.
Insofern macht die Bewerbung eher sichtbar, was mit den milliardenschweren Investitionen in die Industriekultur im Ruhrgebiet über Jahrzehnte bereits geschaffen wurde.
Ein UNESCO Titel – das haben wir am Standort Zollverein in Essen erlebt – erschließt wirtschaftliche Potentiale, nicht zuletzt im Bereich des internationalen Tourismus. Davon könnte dann auch die Gemeinschaft aller Kommunen im Ruhrgebiet profitieren.
Weitere Entwicklungen, Transformationsprozesse und Veränderungen sind unter Beachtung der wertgebenden Eigenschaften grundsätzlich möglich und werden in den meisten Fällen wertsteigernd sein.
Der Welterbe-Antrag betont ausdrücklich, dass es sich um die Inwertsetzung einer lebendigen Region handelt, die Neues aus dem Erbe generiert und auf Entwicklungen setzt. Es gibt bisher kein UNESCO Projekt, das den Prozess der Transformation sowie die nachhaltige Nutzung und die kontinuierliche Umnutzung der Landschaft als ein wesentliches Merkmal integriert.
Der UNESCO-Welterbe-Konvention zufolge muss ein Welterbe-Gut über einen Schutz- und Managementplan verfügen, der ausreicht, um seine Erhaltung sicherzustellen.
Der Schutz- und Managementplan für die „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ ist Teil des späteren Nominierungsantrags. Die bisherigen Arbeitsergebnisse und die Darstellung der rechtlichen Grundlagen, Schutz- und Managementinstrumente bilden hierfür bereits eine solide Basis.
Die finanziellen Verantwortlichkeiten für die ausgewählten Elemente/Stätten in Bezug auf den Erhalt und die Nutzung sind durch die jeweilige Eigentümerschaft bzw. Trägerschaft gegeben. Zudem sind die Elemente/Stätten hervorragend präsentiert und umfänglich touristisch erschlossen. Der Berater Barry Gamble konstatiert, dass 90% all dessen, was im Sinne eines Managementplans für ein Welterbe erforderlich ist, im Ruhrgebiet bereits vorhanden ist und gelebt wird.
Die Verantwortlichkeiten und Trägerschaften für die Infrastrukturen und Gebäude sind gegeben und der Investitionsbedarf ist weitestgehend gedeckt.
In diesem Sinne bedarf es laut Barry Gamble weniger einer Erarbeitung eines neuen Managementplans, sondern vielmehr einer Darstellung des vorhandenen Managementsystems mit ggfs. Ergänzungen. Die Projektpartner RVR, EG und LWL, haben ihre finanzielle Beteiligung bereits schriftlich zugesagt. Eine finanzielle Beteiligung der Kommunen ist nicht vorgesehen.
Der personelle Aufwand der Kommunen in Bezug auf die Ausweisung des Welterbe-Guts einschließlich der Pufferzonen kann durch die Zuarbeit des Koordinierungsbüros geringgehalten werden.
Das im Aufbau befindliche geodatenbasierte Informationssystem zur Industriellen Kulturlandschaft Ruhrgebiet, das über den RVR auch mit Daten der Kommunen gespeist wird, kann dabei dienlich sein und gleichsam als Prototyp im UNESCO-Kontext die Grundlage für ein nachhaltiges Management, einschließlich der Überwachung und Bewertung der Wirksamkeit des Schutzes im gesamten vorgeschlagenen Welterbegut bilden.
Mit der IBA wurde 1989-1999 vom Land NRW ein erster Aufschlag unternommen, dem zentralen Ruhrgebiet und seinem industriellen Niedergang Impulse für einen konzeptionellen Strukturwandel zu geben.
In der ehemaligen Industrieregion wurden auf mehr als 800 Quadratkilometern landschaftsplanerische und städtebauliche Projekte für den ökologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbau realisiert.
Die IBA Emscher Park zeichnete sich durch den Aufbau neuer Planungsstrukturen und einen regionalen Ansatz aus, der weit über die Themen Wohnen und Stadtleben hinausging.
Erstmals in der Geschichte der Bauausstellungen rückte besonders die Landschaftsgestaltung und -architektur zum Aufbau einer regionalen Identifikation in den Vordergrund.
17 Städte, zahlreiche Initiativen und Projektpartner realisierten gemeinsam 117 Projekte mit dem Ziel, eine alte Industrieregion zukunftsfähig zu machen. Dabei ging es um mehr als nur aufzuräumen, zu sanieren oder zu reparieren. Identitätsstiftend leistete die IBA einen besonderen Beitrag für eine bewusste Neustrukturierung der Region inmitten eines tiefgreifenden Strukturwandels.
Sechs zentrale Leitthemen bündelten dabei die IBA Projekte: Das Arbeiten im Park, der Neubau und die Modernisierung von Wohnsiedlungen, der ökologische Umbau des Emschersystems, die Förderung städtebaulicher und sozialer Impulse für die Stadtentwicklung und der Aufbau einer regionalen Parkstruktur, genannt Emscher Landschaftspark, dort wo vormals über 150 Jahre industrielle Nutzungen den Lebensraum des zentralen Ruhrgebiets geprägt hatte.
Ein Sonderzustand für eine Städteagglomeration mit mehr als 2,3 Millionen Einwohnern, der einen Zeitraum von 10 Jahren in Anspruch nahm. Der Aufbau und die Vernetzung des Emscher Landschaftsparks stellte dabei ein absolutes Novum dar: Industriebrachen wurden zu natürlichen Rückzugsräumen erklärt, industrielle Restflächen wurden als Chance für eine neue Landschaftsgeneration umdefiniert, aus Halden wurden Landmarken.
Es entstand eine Industrielandschaft, die neue Formen der Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur forderte. Ziel war, einen grundlegenden Wandel im Umgang mit verbrauchtem Raum zu fördern.
Die Öffnung und der positive Umgang mit den Arealen ließen Industrienatur entstehen, Industrieensembles, vormals als bauliche Zeichen des industriellen Niedergangs gebrandmarkt, wurden zu einzigartigen und identitätsstiftenden Bauten, die heute Markenzeichen der Städtelandschaft Ruhrgebiet sind.
Mit der IBA ist nicht nur die Grundlage eines geordneten Strukturwandels geschaffen worden, es wurde auch bewiesen, dass eine städteübergreifende Planung sehr wohl möglich ist.
Mit der der erfolgreichen Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2010 konnte darauf aufgebaut werden. Auch wenn sich in den letzten Jahren in den täglichen Sprachgebrauch eingeschlichen hat, dass Essen Kulturhauptstadt gewesen sei, ist dies nicht ganz richtig.
Essen hatte diesen Titel stellvertretend für die 53 Städte des Regionalverbandes Ruhr (RVR) erhalten; damit wurde erstmals eine Region berücksichtigt. Die Kulturhauptstadt präsentierte sich als Gastgeber für alle, die den vielschichtigen Wandel von Europas legendärer Kohle- und Stahlregion zu einer polyzentrischen Kulturmetropole neuen Typs erleben wollen.
Gemeinsam entwickelte man nachhaltig wirkenden Strukturen für die Kulturmetropole Ruhr. Die regionalen Akteure aus Kultur, Politik und Wirtschaft schlossen sich in kreativen Allianzen zusammen. Sie alle verfolgten das ambitionierte Ziel, dass die Metropole Ruhr eine bedeutende Rolle in der Zukunft Europas spielt und zu einer neuen, unverwechselbaren Städtemarke auf der Landkarte Europas wird.
Mit dem UNESCO-Welterbe-Titel für die „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ würden die gemeinsamen Leistungen aus der IBA und der Kulturhauptstadt nicht nur bestätigt, sondern geadelt werden. Die Vergangenheit und die Zusammenhänge der Region würden greifbar.
Selbst im Ruhrgebiet wissen die wenigsten, dass z.B. der Rhein-Herne-Kanal auf den Industriellen William Thomas Mulvany zurückgeht, der nicht nur Steinkohlenbergwerke betrieb, sondern sein besonderes Augenmerk auf Transport, Vertrieb und die Erschließung neuer Märkte für die im Ruhrgebiet geförderte Kohle richtete.
Wer weiß denn, dass der ARAL-Konzern auf die Initiative von 13 Bergbauunternehmen zurückgeht, die 1898 eine Verkaufsvereinigung gründeten, um Benzol zu verkaufen, welches damals als eines der ersten Nebenprodukte der Kokereien vermarktet wurde.
Wem ist denn bewusst, dass Krupp auch Produkte für die Eisenbahn herstellte und eine Bahn brechende Erfindung machte: ein neuartiger Radreifen ohne Schweißnähte, geformt aus einem Stahlblock, der auch bei hoher Geschwindigkeit nicht brach.
All diese Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen würden in Szene gesetzt, greifbar und erlebbar. Indem man die Industrielle Kulturlandschaft bewahrt, aber zugleich auch weiter entwickelt durch und mit innovativen Neunutzungen, kreativen Verkehrskonzepten und verantwortlicher Stadtplanung, kann man den Wandel des Ruhrgebiets fortführen, ohne die Vergangenheit zu vernichten. Ein Phönix muss nicht zwangsläufig aus Asche aufsteigen.
Und für manch zukünftige Bauprojekt wäre ein Blick auf und in die Vergangenheit sogar ganz nützlich, die konnten damals nämlich auch schon was. Man würde mit der Bewerbung um den Titel erneut unter Beweis stellen, dass die Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets sehr wohl dazu in der Lage sind, über ihre Stadtgrenzen hinaus zu denken und gemeinsam zu handeln.
Dass das in der Vergangenheit oft praktizierte und genauso oft kritisierte Kirchturmdenken der Vergangenheit angehört.
Stadt- und Verkehrsplanungen werden in Zukunft immer kreativere Ideen benötigen, um Aspekten wie z.B. Nachhaltigkeit sowie Umwelt- und Klimaschutz gerecht zu werden.
Warum sollte man hierfür nicht endlich mal die Potentiale der gesamten Region nutzen? Vielleicht hat ja der Kollege aus der Nachbarstadt eine gute Idee, wenn man selbst nicht weiterkommt.
Die Einschränkungen, die durch den Welterbe-Titel möglicherweise hier und da beachtet werden müssen, kann man sehr gut auch als Herausforderung betrachten.
Deshalb meine eindringliche Bitte an den Rat dieser Stadt,- stimmen sie für unseren Antrag und lassen sie und das Projekt gemeinsam auf den Weg bringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“